Wenn “Riots Not Diets!” rufen nicht reicht

CN: Diätkultur, Fatshaming, Depressionen, Verharmlosung & Verleugnung von Essstörungen, 1 ganz leicht misogyne Beleidigung, Transfeindlichkeit erwähnt

 

 

 

Eigentlich ist mein aktuelles Projekt ja eine Reihe über Monosexismus, aber seit einer Weile beschäftigen mich zwei weitere Themen. Da zu dem einen meine Gedanken kürzlich erneut angestoßen wurden, kommt nun was darüber.

Ich denke über Diät-Kultur, Fat Shaming und Fatceptance (ein Wort, das sich aus fat und acceptance zusammensetzt), Körperpositivität und Parolen wie “riots not diets” (in etwa: “Aufstand statt Diät!”) nach.

Zuerst meckere ich über die “normale” Welt, ihre Diätkultur und Fatshaming. Dann komme ich zu der Auseinandersetzung von Feminist*innen mit Fettsein und was mir daran nicht passt, bevor ich abschließend ein paar Wünsche formuliere.

Diätkultur und Fatshaming

Kritik an meinem Körper und unzulässige Rückschlüsse auf meinen Gesundheitszustand begleiten mich mein ganzes Leben lang. Dass mir als Kind ab und zu gesagt wurde, dass ich sehr/zu dünn sei, ist harmlos im Vergleich dazu, was passierte, als ich mit Einsetzen der Pubertät plötzlich dick wurde. Während mein guter Appetit bis zum Alter von etwa zehn Jahren gut war und zeigte, dass sich meine Eltern wohl keine Sorgen machen müssen, obwohl ich so ein “Hering” war, wurde der Fakt, dass ich esse, plötzlich ein Problem – mit dem Ergebnis, dass mir meine Mutter, als ich etwa 12 war, die erste Kohlsuppendiät aufquatschte. Ich halte generell nicht viel von Diäten, die 5 Pfund Gewichtsverlust in 5 Tagen versprechen. Wenn Erwachsene so etwas machen wollen, liegt es im Rahmen ihrer Selbstbestimmung. Ich traue ihnen generell zu, dass sie entscheiden können, sich zu schaden oder halt nicht. In einer Kultur zu leben, die Speck an noch-nicht-ganz-Teenagern schädlicher findet, als einem Kind, das in einer wichtigen Phase der körperlichen Entwicklung steckt, einfach mal die Energiezufuhr wegzuschneiden, ist gruselig. Und leider bin ich mit solchen Erfahrungen nicht allein und höre von anderen, die ähnliches berichten.

Hier kommen ein paar Dinge, die ich durch die Diätkultur lernte:

  • Dünnsein ist gesund, Dicksein ist ungesund. Auch wenn ich drei Mal die Woche Sport machte, wurde mir erklärt, wie ungesund Dicksein ist und dass ich abnehmen muss, um gesund zu sein.
  • Jede Art, abzunehmen, ist uneingeschränkt gut, da sie ja dazu beiträgt, dass ich gesund werde. Und außerdem schön. Ich bin zwölf und mache eine Kohlsuppendiät – super. Ich bin 16 und kann vor Liebeskummer zwei Wochen lang nichts essen – Mitschülerinnen loben, wie toll ich abgenommen habe. Augenringe sind egal, wenn der Hüftspeck verschwindet. Erwachsene sagen nichts dazu. Ich bin erwachsen und Depressionen nehmen mir die Motivation, zu essen. Das ist super, denn
  • Gewicht gibt solide Auskunft darüber, wann ich gesund bin. Es gibt Tabellen, die unhinterfragt wahr sind und aus denen ich entnehmen kann, wann ich gesund bin und wann nicht. Mit diesen Tabellen hantieren wir auch in der Schule. Im Matheunterricht erklärt uns der Lehrer, dass wir die nur zum Rechnen verwenden, dass die nur für Erwachsene gelten und dass wir uns keine Gedanken machen müssen, wenn wir kein Idealgewicht haben. Dennoch ist es anscheinend sehr wichtig und die einzige Art, unser Rechnen zu trainieren, (Körpergröße in cm – 100) * 0,85 zu rechnen. Oder Gewicht / Körpergröße². Im Biologieunterricht errechnen wir dann anhand unseres Idealgewichtes unseren Energiebedarf, wie viele Kohlenhydrate, Proteine und Fette wir brauchen und sollen uns anhand von Nährwerttabellen ein Frühstück zusammenstellen, dass je 1/3 von allem enthält. In der kurzen Zeit, in der ich dank Liebeskummer und dem Fakt, dass mir durch die Pille meistens kotzübel ist (damit muss ich halt leben, wenn ich nicht schwanger werden will, denn die Pille ist das einzig sichere Verhütungsmittel, sagt mir mein Gynäkologe) laut diesen Tabellen endlich mal ganz knapp im normalen Bereich bin, finde ich mich zu dünn. Eine Freundin sagt mir, dass ich zu dünn sei. Ein Fremder ruft mir “Fettarsch!” hinterher. Ich kann endlich in den angesagten Geschäften einkaufen. Die größte Größe, die sie führen, passt mir.
  • Wenn du nur dünn bist, bist du auch ungesund. Neuerdings müssen Leute nicht nur wenig wiegen, sondern auch noch sportlich sein. skinny fat wird ein Begriff. Dick und gesund schließt sich weiterhin aus.
  • Dicksein ist hässlich. Mein dicker Körper ist nicht schön. Wenn etwas an mir schön ist, dann vielleicht mein Gesicht. Der Weg zur Selbstliebe beginnt für mich damit, meine Fingernägel schön zu finden. Meinen Bauch, meine Brüste oder meinen Po schön zu finden ist tabu. Mit 14 besitze ich zirka 30 Nagellacke und drei Maniküre-Sets, weil es okay ist, das schön zu finden und zu pflegen. (Ok, ich mag meine Fingernägel und Nagellack immer noch sehr ^_^ )
  • Dicksein ist höchstens akzeptabel, wenn du durch Schwangerschaft(en) dick wurdest. Oder eine Krankheit hast. Essstörungen sind keine Krankheit.
  • Dicke sind undiszipliniert und haben keine Liebe verdient.
  • Kaufe dieses Zeug. Es macht dich dünn.
  • Vermesse dich selbst – was du isst, wie viel zu dich bewegst, halte alles fest und korrigiere dein Verhalten, denn alles, was du tust, ist falsch. Du bist falsch.
  • Iss wenig Fett.
  • Iss wenig Kohlenhydrate.
  • Iss wenig.

Feminismus und Fettsein

Wenn ich überlege, was mir von feministischer Seite in Bezug aufs Fettsein unterkam, fallen mir verschiedene Sachen ein:

  • Wie du aussiehst, ist egal. Was du kannst, ist wichtig.
  • Alle Körper sind schön. Lerne, dich zu lieben.
  • Diäten kosten uns nur Energie und hindern uns an der Revolution.
  • Du sollst dich endlich selbst lieben!
  • Wenn du eine Diät machst, verrätst du unsere Sache, du oberflächliche Tussi!
  • LIEBE DICH ENDLICH SELBST, VERDAMMT NOCH MAL!
  • Iss noch einen Vulva-Cupcake!
  • Wenn ich ne Diät mache, mache ich das für mich, und weil das Teil meiner Selbstbestimmung ist und Feminismus Selbstbestimmung bedeutet, ist es total feministisch, jeden Tag nur einen Toast zu essen.

Es gibt also diverse Aussagen, aber so richtig differenziert oder sinnvoll finde ich sie nicht. Der ersten kann ich schnell entgegen halten, dass da auch nur ein anderes Ideal bedient wird und der Maßstab einer Leistungsgesellschaft geteilt wird, dass unser Können unseren Wert bestimmt. Wenn ich mich gerade total unfähig fühle, weil ich aufgrund von Depressionen zwei Stunden brauchte, um meinen dicken Körper aus dem Bett zu bewegen, fühle ich mich nicht besonders fähig und es muntert mich dann so zirka gar nicht auf, darauf verwiesen zu werden, dass ich zwar fett bin, dafür aber bestimmt andere Sachen kann. Und ruft bei mir irgendwie das “Schöne Frauen sind dumm“-Klischee auf. Entweder du kannst was, oder du bist schön. Abwertung von Körpern schwingt da auch irgendwie mit.

Alle Körper sind schön. Ja, wäre naise, wenn wir das wirklich so sehen würden. Ein linker Mailorder verkauft eine Hose mit ner fettpositiven Botschaft in Größen S, M, L und XL. Der Merch für linksversifftes und/oder feministisches Zeuch endet meist bei Größe XL und wird an dünnen Personen präsentiert. Wenn wir in die “normale” Welt schauen, sieht es mit Sicherheit nicht besser aus, wie an meinen Schilderungen oben vielleicht zu erahnen ist, und ich kann nicht von heute auf morgen umlernen, dass ich so, wie ich bin, super bin. Da können wir auch das Selbstbestimmung-Argument kritisieren. Deine Vorstellung, dass nur Schlank gut ist, kommt halt nicht aus dem Nichts. Dass du etwas machst, nur, weil du es willst, bedeutet noch nicht, dass es automatisch feministisches Handeln ist.

Selbstliebe ist schwierig, wenn ich in ner Gesellschaft lebe, die mir immer einredet, dass ich so, wie ich bin, schlecht bin. Die, die am lautesten schreien, wie wichtig Selbstliebe sind, die oft auch die Feminist*innen, die gar nicht so weit von der Schönheitsnorm entfernt sind. In der Regel haben sie keine sichtbaren Behinderungen, sind cisgeschlechtlich oder cis-passing, haben keine besonders große Nase und ihre Augen sind weder besonders nah beieinander noch stehen sie sehr weit auseinander. Die, die am lautesten “RIOTS NOT DIETS!” rufen, tragen höchstens Kleidergröße 44. Und ganz ehrlich, mir kam dieser Spruch mit 85 Kilo auch leichter über die Lippen als mit 105. Irgendwann fühlte ich mich nicht mehr wohl, wusste aber auch irgendwie, dass es kein Thema ist, mit dem ich in nem Umfeld cooler Emanzen offen umgehen konnte. Da fühlte ich mich tatsächlich wie ein*e Verräter*in an der Sache. Ich traue mich nur mit wenigen darüber zu reden – und auch nur mit Leuten, bei denen ich weiß, dass sie ähnliche Probleme haben.
Irgendwie scheint es ein Ganz oder Gar nicht zu sein. Eine Internetbekanntschaft habe ich vor ner Weile gelöscht, weil mich ihre ständigen Beiträge über ihre Diät nervten. Zu einer Freundin verlor ich den Kontakt, weil sie irgendwann beschloss, dass Transfeindlichkeit super ist. Guter Nebeneffekt ist, dass ich nun keine “Boah wie dick ich damals war!“-Beiträge mit nem Foto, auf dem sie dünner war als ich jetzt bin, sehen muss. Beide Frauen haben sich, glaube ich, prinzipiell als feministisch verstanden. Das war für sie kein Hindernis, jederzeit diätbezogene Gespräche anzufangen – was mich irgendwie verwirrte, weil ich mich durch meinen Plan, abzunehmen, wie ein*e Verräter*in und Feind*in der Körperpositivität und Selbstliebe fühlte und ich mich gar nicht trauen würde, das so an die große Glocke zu hängen (ok, jetzt schreibe ich n riesigen Blog-Eintrag darüber, was mir auch irgendwie Angst macht) und ich merkte, dass es mich an anderen auch nervte.

Ich wünsche mir:

  • eine Auseinandersetzung damit, was ich tun kann, wenn “riots not diets” rufen nicht mehr ausreicht. Wenn ich mir klar gemacht habe, wie doll fatshaming mich beeinflusst, was Diätkultur ist, wie doll das auf verschiedene Geschlechter bezogen unterschiedlich ausfällt und ich mich mit mir und meinem Körper trotzdem nicht wohl fühle. Was mache ich, wenn das alles nix bringt?
  • Zonen, die ohne Gespräche über Diät auskommen. Trotzdem wünsche ich mir, wie gerade erwähnt, Räume, in denen es doch erlaubt ist, darüber zu reden, dass ich mich mit meinem Aussehen oder meinem Gewicht unwohl fühle und in denen “Iss einen Cupcake und liebe dich selbst!” nicht die einzige akzeptable Lösung ist.
  • dass wir kritisch bleiben.
  • dass nicht alles, was wir tun, immer mit feministischen Idealen überein stimmen muss und wir trotzdem Feminist*innen sein können.