Ich liebe das LSBTIAPQ…. Alphabet. Wirklich, je mehr Wörter, desto besser! Es ist schwer, etwas zu denken, für das wir keine Wörter haben. Ein paar Sachen funktionieren, insoweit wir sowas haben, über bildliche Vorstellung. An einen Baum, einen Strand oder einen Apfel können wir vielleicht noch denken, ohne das Wort zu verwenden, bei Natur, Liebe oder Demokratie wird das schon schwieriger.
Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind ebenso schwer zu fassen, und darum wird es im Folgenden gehen. Ich lade euch ein auf eine kleine Reise durch meine Jugend – eine Zeit, die ich teilweise noch ohne Internet und hauptsächlich verwirrt verbrachte.
Ich war ungefähr dreizehn, als ich das erste Mal verliebt war. Es war eine Schwärmerei für meine damalige beste Freundin, eigentlich das lesbische Klischee. Und so kam es auch, dass ich mich frug, ob ich lesbisch sei. Meine Mutter hatte zum Glück gute Vorarbeit geleistet, indem sie immer sagte, dass es okay sei, wenn ihr Sohn schwul oder eine ihrer Töchter lesbisch sei. Also wusste ich schon, dass es schwul, lesbisch und hetero gibt und dass Mama alles davon akzeptieren wird. Wegen des Männerpaars, das etwas Abwechslung in die von Mutter-Vater-Kind(ern) bewohnten Einfamilienhäuser brachte, war es in meinem Umfeld immer irgendwie normal – auch wenn “die Schwulen von gegenüber” schon ihren Sonderstatus verriet, denn von “den Heteros von gegenüber” war nie die Rede, die waren dann “Familie Nachname“. Dennoch ist meine offizielle Forderung: Ein gleichgeschlechtliches Paar in jedes Mittelschichts-Viertel!!!11!11
Scherz beiseite, zurück zu meiner Selbstfindung. Eine Weile nach der verwirrenden Verliebtheit kam zum Glück meine Rettung: Ich merkte, dass ich einen Mitschüler echt doll mag! Also waren die Gefühle für die Freundin wohl doch ein Irrtum und ich bin hetero (oder normal – ich weiß wirklich nicht, ob ich das Wort hetero kannte) – denn was anderes gibt es ja nicht, entweder du stehst auf Männer oder auf Frauen, bzw. entweder du empfindest gleich- oder gegengeschlechtliches Begehren. Erst vor kurzem wurde ich auf den Begriff Monosexismus, der genau das beschreibt, aufmerksam, und erst da begriff ich, wie doll Monosexismus meine Biographie beeinflusste. Ich weiß nicht mehr, wie ich erfuhr, dass es so etwas wie “Bisexualität” gibt. Mit 16, als ich meine erste Beziehung führte, frug ich mich, ob es für mich einen Unterschied mache, wenn mein Liebling ein anderes Geschlecht hätte – und mit 17 bezeichnete ich mich selbst als bi. (Da hatte ich dann auch schon Internet – eine wirklich wichtige Ressource!) Seitdem habe ich eine weite Reise durch Wörter gemacht – also von eventuell lesbisch über doch hetero zu bi, dann zu pan, wieder zu hetero, zurück zu bi, zu pan, zu queer, zu pangynophil, zu ich stehe eher auf androgyne und feminine Performances zu bi/pan/polysexuell. Ja, momentan fühle ich mich mit verschiedenen Labels wohl und denke noch darüber nach, ob meine sexuelle und meine romantische Orientierung unterschiedlich sind. Dafür hat das Internet™ auch ein eigenes Wort, aber ich finde es gerade nicht mehr. Also, die Reise ist nicht vorbei, und ich mag es, dass das Q für Questioning stehen kann. Es ist okay, wenn du dich, dein Empfinden, dein Begehren hinterfragst und dir gerade noch nicht sicher bist, welches Label passt oder ob überhaupt eins passt. Bi, pan, poly, queer, questioning, a, demi, heteroflexibel, lesbisch, schwul, hetero usw. usf. sind Angebote, die dir helfen können, aber es gibt keine Pflicht, eins davon zu nehmen. Vielleicht wie ein Buffett: Bei einer Sache bist du dir sicher, dass sie nicht das richtige für dich ist. Eins musst du dir vielleicht auf den Teller tun und kosten, um zu schauen, ob es dir schmeckt. Vielleicht denkst du, dass du die perfekte Speise für dich gewählt hast und merkst Jahre später, dass es das vielleicht doch nicht war. Vielleicht stehst du vorm Buffett und kannst dich nicht entscheiden, ob eins davon das richtige für dich ist. Oder du schaust das Essen an und merkst, dass du gar keinen Hunger hast und eigentlich nix davon brauchst. Alles davon ist okay.
Geschlechtsidentität. In meiner Jugend kannte ich auch nur Mann und Frau als mögliche Geschlechter. Ich weiß, dass ich mich frug, ob ich trans sei. Trans konnte ich aber nur binär denken, also war die Frage: “Wäre ich glücklich, wenn ich ein Mann wäre?” “Bin ich eigentlich ein Mann?” Da mich Mann auch nicht passender beschrieb als Frau, dachte ich, dass Frau dann schon ok ist. Als ich Anfang 20 war, entdeckte ich das Wort Genderqueer für ein Geschlecht außerhalb des Mann-Frau-Schemas. Mein erster Gedanke war: “Wow, es gibt ein Wort für das, was ich bin!” Der zweite war: “Das heißt, es muss noch andere geben, die so sind wie ich. Ich bin nicht allein auf der Welt!” Diese Erkenntnis war wirklich befreiend. Endlich konnte ich das, was ich schon immer irgendwie fühlte und bisher nicht auf den Punkt beschreiben, nicht richtig in Worte fassen konnte, sagen: “Ich bin genderqueer. Ich bin weder Mann noch Frau. Ich bin außerhalb dieses Systems, oder dazwischen.” Und tatsächlich half mir das Internet™ sehr dabei, näher zu erkunden, wie / wer ich bin. Agender war eine Weile meine Favoritin, weil das Nachhorchen in mir, der Versuch, ein Geschlecht zu erspüren, einfach im Nichts endete. Mit dem Widerspruch “ganz viel Nichts” erklärte ich mein Empfinden. Die Erwartung anderer, dass da irgendwas ist, was da aber nicht ist, führte bei mir schon zu viel Stress. In langen Gesprächen mit cis und trans Personen versuchte ich zu ergründen, was Geschlechtsidentität eigentlich ist und kam nie über ein rationales Erfassen des Faktes, dass andere sowas haben und ihnen das wichtig ist, hinaus. Und dann, bäms!, hatte ich plötzlich eine Geschlechtsidentität. Einige Wochen lang war ich ein Mann, vollkommen überzeugt davon, mir absolut sicher. Das war der Punkt, als ich meine Pronomen von “xier, sie, er” auf “xier und er” zusammenkürzte, weil es sich viel zu komisch anfühlte, als “sie” bezeichnet zu werden. Nach einer Weile ebbte das Gefühl ab, wurde weniger, wurde von Mann eher zu einem Empfinden von maskulin und zurück zu nix. Seitdem schwankt es ab und an etwas her. Die meiste Zeit nix, manchmal maskulin, manchmal feminin. Als ich merkte, dass ich ab und zu ein feminines Empfinden habe, verschwand auch das “er” aus der Liste der Pronomen, mit denen * über mich reden soll, weil sich wertschätzende, geschlechtsneutrale Pronomen immer okay anfühlen, während “sie” und “er” unangenehm sind, wenn ich mich gerade eher maskulin oder feminin fühle. Fluide Identitäten sind okay. Auch wenn einige genervt sind von den 8000 Kategorien, die die kids auf tumblr haben, bin ich richtig froh darüber, dass es das gibt und dass Leute einander unterstützen, sich Wörter ausdenken und andere daran teilhaben lassen. Es freut mich, dass dadurch viele Identitäten erst einmal denkbar und im zweiten Schritt vermittelbar, erklärbar werden. Aber auch hier gilt: Es ist ein Buffett. Du kannst dich labeln, du musst aber nicht.