Kinkshaming?

Kinkshaming. Frauenfeindlichkeit. Diskriminierung. Rassismus erwähnt (+ mehr im Link). Speziesistische Wörter. N paar Kinks, die vermutlich jetzt nicht so meeega abgefahren oder triggernd sind, werden genannt. Oberflächliche Beschäftigung mit potentiell (lebens)gefährlichen Kinks, keine Details. Gruselige Leute und Grenzverletzungen, auch eher oberflächlich und wenig Details.

 

 

 

 

Die Links in diesem Artikel sind eventuell #NSFW. Falls du diesen Text auf der Arbeit liest. Oder im Zug. Oder sonst wo, wo dir vielleicht Leute über die Schulter gucken und dich dann dafür kinkshamen könnten, was für Seiten du dir doch anguckst.

Manche der Menschen in meinem Umfeld haben vielleicht schon einmal mitbekommen, dass ich gelegentlich “no kinkshaming” (oder “kinks are valid“) sage. Häufig bevor oder nachdem 1 der Entitäten, mit denen ich häufig Zeit verbringe, sagt(e): “your kink, my kink und so”. Während sich letzteres auf your kink is not my kink but your kink is ok, oder kurz, auch wenn nicht besonders kurz: YKINMKBYKIOK bezieht, was ein erwünschter, aber nicht immer umgesetzter Grundsatz von Kinkstern unter ihresgleichen ist, richtet sich No Kinkshaming geschätzt häufiger an jene Leute, die sich und ihre Sexualität für normal halten oder die sich für voll pervers halten, aber doch nur das tun, was gesellschaftlich angesehen ist und soll halt aussagen:
– “Rede mir/anderen keine Scham ein für meine/ihre (devianten) sexuellen Vorlieben.”
– “Verurteile mich nicht dafür, dass ich auf abgefahrenen Kram stehe!”
oder auch:
– “Hör doch endlich auf, aus meinen/fremden sexuellen Vorlieben n schlechten Witz zu machen(, besonders, wenn du keine Ahnung hast, du Pfeifenkopp).”

Warum sage ich das aber nun in Situationen, die nix mit außergewöhnlichen sexuellen Vorlieben zu tun haben?

Theorie 1 wäre: Ich finde es total witzig, dass
– Leute wegen ihren Kinks ihren Job verlieren,
– 16jährige Mädchen ekelhafte alte Männer daten, weil die denken, dass ihre Vorlieben so daneben sind, dass sie sie niemals ausleben können, wenn sie sonst noch Ansprüche an den Menschen haben,
– sich (insbesondere junge) Leute ernsthaft und unsexy weh tun oder sogar sterben, weil aus Gründen des Jugendschutzes nicht darüber geredet werden darf, dass das, was sie sich ganz allein ausgedacht haben, riskant ist und dass sie es, wenn sie es unbedingt tun wollen, auf eine bestimmte Art machen sollten, um die Risiken zu minimieren.(1)
Um die nervenaufreibende Spannung zu beenden: Nein, das ist es nicht, überraschenderweise. =D

Theorie 2: Befremdlicher Millenial-Humor, oder auch: Neodadaismus. Ja, das ist es, aber nur zum Teil. Deshalb:

Theorie 3: Ich sage “no kinkshaming” in Situationen, in denen kein Kinkshaming betrieben wird, weil Kinkster das auch tun. *aufregendes Gebimmel* Die Gewinner*innenglocke!

Und deshalb erklär ich hier jetzt für alle Kinkster*ellas(2) und alle Freund*innen des Vanilleeis(3), was Kinkshaming ist und was nicht. Wie immer ohne Wahrheitsanspruch.

Kinkshaming bedeutet, dass Leute aufgrund ihrer Kinks, also wegen “ungewöhnlicher”, als abweichend konstruierter, sexueller Vorlieben beschämt werden, angegangen werden, beleidigt werden, aus Gruppen, ihrer Familie, ihrem Job ausgeschlossen oder herausgemobbt werden. Eigentlich alles, bei dem mensch Angst haben muss, dass andere ein* verurteilen, verachten, beleidigen, verkloppen oder dissen, wenn sie herausfinden, was die Person so für Sexpraktiken(4) mag oder -phantasien hat.

Kinkshaming ist z.B.
– wenn der Chef ner Angestellten nahe legt, zu kündigen, weil ihm irgendn Drecksack n Bild von ihr in ner kunstvollen Fesselung zuspielt hat und so n Schweinskram ja gar nicht geht
– wenn immer die gleichen blöden Witze über gewisse Sexpraktiken oder Vorlieben gemacht werden, entweder von deiner möchtegern-offenen Mudder oder dieser einen totaaaal witzigen Sketch-Show im Fernsehen oder allen achttausendmillionen Hollywoodfilmen und Fernsehserien, die sich nix besseres ausdenken können als den obligatorischen Fuß-Verehrer oder n Date, das darin endet, dass irgendwer was total Unerwartetes tut, weil Kinkster ja keine Ahnung von Absprachen haben und auch nicht schon ausreichend Erfahrung mit Kinkshaming machen durften und deshalb auch niemals in die Situation kommen würden, lieber nie(mals/wieder) mit wem darüber zu sprechen und stattdessen für immer nur Sex zu haben, der sie nicht befriedigt
– wenn Leuten aufgrund ihrer sexuellen Vorlieben andere Eigenschaften angedichtet werden, insbesondere, wenn ihnen unterstellt wird, eine Gefahr für andere zu sein (wie z.B. das Klischee des grenzverletztenden Fußfreundes, der dir einfach so an deine Latschen fasst, oder das des Leder-Feti, der sich als Serienmörder entpuppt… Rly?)
– ein Kink als besonders lustiges, da ja soooo abgefahrenes Beispiel angeführt wird, um eine Diskussion um Kinkshaming oder Sexualfeindlichkeit oderoderoder lächerlich zu machen. Und wir wissen alle, was dieser Kink ist, weil wir alle Pipi-Kaka-Humor haben, haha. (Düsenurteil: Laaangweilig!)
– Menschen Informationen über das sicherere Ausleben ihrer Kinks vorzuenthalten
– Leuten ihre Kinks verbieten oder wegtherapieren(5) zu wollen

Und was ist nun kein Kinkshaming? Grob gesagt: Es ist keins, wenn die Person an der Sache nicht stört, dass es kinky ist, sondern ihr Problem damit ein anderes ist. 

Im Detail fallen mir zwei Sachen ein:

Kein Kinkshaming ist es, wenn eine Person nix über eure Sexualität im Allgemeinen oder im Speziellen hören will. Es ist einfach das Recht jeder Person, nix darüber hören zu wollen, was du letztes Wochenende getan hast, was du nächstes Wochenende tun wirst oder was du gern mal an einem bisher unbestimmten Wochenende tun würdest. Und auch nicht, was du jeden Mittwoch Abend in der Herrensauna tust. Aber es gibt hier Grauzonen: Wenn sich die gleiche Person von anderen Freundinnen Details über die Sexstellungen, die sie am letzten Wochenende ausprobiert haben, am nächsten Wochenende testen werden oder an irgendeinem ungeklärten Zukunftswochenende gerne mal machen würden, ohne Probleme anhört, dich aber anschreit, wenn du Handschellen erwähnst, kann das was mit Kinkshaming zu tun haben. Dennoch bleibt das Recht von Personen, nicht mit fremden sexuellen Sachen konfrontiert zu werden oder auch nichts über gewisse Sexualpraktiken hören zu wollen, bestehen und es ist wichtig, das zu achten. Natürlich ist es auch kein Kinkshaming, wenn irgendwer bei deinem Kink nicht mitmachen will.

Es ist kein Kinkshaming, wenn die Person an der Sache nicht stört, dass es kinky ist, sondern dass es diskriminierend ist.(6)

An einem Beispiel erklärt:

Die Situation:
Beim Onlinedating landest du auf dem Profil eines Mannes, der es erregend findet, Damenschlüppis zu tragen. Er schreibt dort, dass sich das Material auf der Haut schön anfühlt und er sich dann echt sexy fühlt.

Deine Reaktion:
Weil du einerseits n echt eingeschränktes Geschlechterbild hast und andererseits generell Vorurteile gegenüber Sex hast, der außerhalb deines Tellerrandes liegt, stört dich das enorm und du schreibst ihm ne fiese Nachricht. Das ist Kinkshaming.

Die Situation:
Beim Onlinedating landest du auf dem Profil eines Mannes, der es erregend findet, Damenschlüppis zu tragen. Er erklärt dort, dass er sich dann wie allseits bereite Schlampe fühlt, die allen Kerlen zur sexuellen Verfügung steht.

Deine Reaktion:
Das macht dir ein schlechtes Gefühl, weil du dich fragst, ob da nicht ein schlechtes Frauenbild hinter steckt und auch ein schlechtes Frauenbild mit hergestellt wird. Du vermutest, dass es irgendwie ein Erniedrigungsfetisch ist, und es stört dich, dass hier Frausein mit Erniedrigung gleichgesetzt wird. Außerdem findest du die Idee der sexuellen Verfügbarkeit von Frauen (oder “Schlampen”, was hier das gleiche meint), fragwürdig und schreibst ihm eine Nachricht, in der du deine Bedenken mitteilst und ihn fragst, ob er das ab und zu n bisschen reflektiert.
Das ist kein Kinkshaming. Dich stört hier nicht der Kink, sondern die Frauenfeindlichkeit.

Tschuldigung, ich glaub, ich check noch nicht ganz, was das mit dem “No Kinkshaming” in unkinky Situationen jetzt soll…

Kein Problem, erklär ich jetzt: Weil es mich total nervt, dass sich insbesondere die, die am wenigsten unter diversen -ismen leiden, darüber empören und am lautesten “KINKSHAMING!” schreien, wenn kein Kinkshaming betrieben wird, werfe ich beliebig “no kinkshaming” oder halt “kinks are valid”, was ähnlich verwendet wird, aber vll auch n bisschen leichter ist bzw. nicht unbedingt ne direkte Reaktion ist, sondern ne allgemein aufmunternde Botschaft an Kinkster, in Gespräche ein, die nix mit Kinkshaming zu tun haben. Denn Humor ist eine Möglichkeit, damit umzugehen, dass Pfeifen, die meinen, alle möglichen -istischen Muster re_produzieren zu dürfen, oft(7) nichtmal reflektieren, was sie da eigentlich tun und was da mit transportiert wird in ihrer scheinbar harmlosen Vorliebe und auch noch denken, mir Zeugs unter die Nase reiben zu müssen, von dem ich nix hören will. (Ich interessiere mich wirklich herzlich wenig dafür, wie Leute, die nicht direkt von Misogynie betroffen sind, aus Frauenhass ne sexuelle Vorliebe machen, also geht mir wech damit!) Und außerdem ist Humor auch ne Möglichkeit für Kinkster, mit Kinkshaming umzugehen, und Witze über Kinkshaming sind da genau so n Ding wie Frauen, die Frauenfeindlichkeit verarschen und so. Hab ich gehört. Weil ich natürlich nix mit sowas zu tun hab.

Also, liebe Kinkster*ellas, falls das hier welche lesen: Ihr dürft machen, was ihr wollt. Ich wünsche mir, dass ihr darüber nachdenkt, was in eurem Kink so mitschwingt und dass ihr euch bemüht, den im Schlafzimmer zu lassen und das sexy Überlegenheits-Erniedrigungs-Zeug, das ihr da gerade durchgespielt habt, kein Spiegel einer unsexy Überlegenheitsideologie ist und ihr dafür sorgt, dass sie auch keiner wird. Und ich verlange, nicht ungefragt/ungewollt mit euren Kinks konfrontiert zu werden. Eigentlich. Ja. Hier kann ein Punkt hin. Konfrontiert Leute nicht ohne Absprache mit euren Kinks. Seid besonders vorsichtig, wenn ihr etwas fetischisiert, das eine real existierende Ungleichheit spiegelt und damit verbunden eventuell auch fiese Erfahrungen, oder allgemein fiese Erfahrungen, die nicht zwingend was mit Ungleichheit zu tun ham (wo mir gerade nix einfällt, aber gibt’s bestimmt). Es steht anderen Leuten zu, nix darüber zu hören, wenn sie darüber nix hören wollen.

Soa. Ich wünsch euch viel Spaß mit euren Kinks, mit eurer Unkinkiness und überhaupt allem.

 


 

(1) Die anderen beiden Sachen könnte ich bestimmt auch belegen, aber ich finde es nicht mehr und bin faul. Außerdem ist das hier das Internet und n vergenderter Blog, wen interessieren da Quellen? Ok, für das zweite: Informelle Mitteilung. Zum dritten hab ich vor langer langer Zeit mal ne Diskussion in nem Fetisch-Forum gelesen, in dem ich natürlich ausschließlich for science unterwegs war, weil ich ja auch Sexualpädagog*in bin und mich deshalb über sowas informieren muss. Oder will.

(2) “Kinkster” ist schon n recht geläufiger Begriff, glaub ich. “Kinkster*ellas” hab ich mir gerade ausgedacht.

(3) Wenn du nicht verstehst, was das heißen soll und was Vanilleeis damit zu tun hat, meine ich damit vermutlich dich und genieße es, dass du jetzt pfoll verwirrt bist, weil ich böse bin. Muhahaha! Irgendwo muss ich meinen Spaß ja hernehmen bei diesem wenig spaßigen Thema.

(4) bla bla Einverständnis aller Beteiligten vorausgesetzt blabla niemanden vorsätzlich töten bla bla einwilligende Leute im einwilligungsfähigen Alter bla bla es nervt mich, dass offensichtliche nennen zu müssen

(5) Wenn ihr selbst denkt, dass es in ne schädliche Richtung geht oder ihr sehr darunter leidet, dass ihr auf so abgefahrene Dinge steht, dass ihr wohl für immer allein sein werdet, dann sucht euch die Unterstützung, die ihr für sinnvoll haltet. Es steht aber niemandem zu, von Außen zu beurteilen, dass das, was ihr tut oder wollt, irgendwie “krank” ist und ihr euch das abgewöhnen solltet. Informiert euch, soweit wie möglich, über die Risiken, geht sicher, dass eventuelle andere Beteiligte die Risiken kennen und gewillt sind, sie einzugehen und geht sicher, dass alles einvernehmlich ist. Informiert euch auch über die rechtliche Lage. Es ist Teil der Risikoabwägung, sich klar zu machen, was es für juristische Folgen haben kann, wenn etwas nicht wie geplant läuft oder der GAU passiert.

(6) Diese total wichtige Erkenntnis verdanke ich Angry Black Hoemo, der dies in einem Blogeintrag über Race Play (ihr rechnet vermutlich schon damit, dass es da um Rassismus gehen wird, und das n-wort ist ausgeschrieben und er geht da auch n bisschen ins Detail) anführt.

(7) #NotAllKinkster