Ableismus und Grenzen

Ableismus, psychische Erkrankung, Neurodiversität, Überforderung, psychische Gewalt, Trauma erwähnt, Mackerkacke

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Ableismus beschreibt die Diskriminierung wegen der Unfähigkeit, etwas zu tun, das als normal vorausgesetzt wird. Im Deutschen wird dies wohl am häufigsten mit “Behindertenfeindlichkeit” übersetzt, weil es keine bessere Beschreibung gibt. Es beschreibt vermutlich nicht genau das gleiche, geht aber in eine ähnliche Richtung.
Ableismus kann sich auf körperliche, geistige oder psychische Behinderung beziehen. Manchmal wird, um spezifisch die Diskriminierung von psychisch devianten oder kranken Personen zu beschreiben, nicht von Ableismus, sondern von Mentalismus oder Saneismus gesprochen. Für mich umfasst Ableismus aber alles.

Hier wird der Schwerpunkt auf Neurodiversität liegen. Neurodiversität beschreibt die Abweichung von “üblichen” “gewöhnlichen” neuronalen Strukturen, also Abweichungen im Gehirn. Dies kann sich beispielsweise auf Autismus oder ADS beziehen, aber manchmal ist damit auch psychische Abweichung gemeint. Ich verwende diesem Begriff für beides – denn kein* kann mir erzählen, dass sich z.B. Trauma nicht auf dein Gehirn auswirkt und dein Gehirn “ganz normal” läuft und dass es nicht neurologisch, sondern nur psychisch ist. Aber da kann * auch unterschiedlicher Ansicht sein, z.B. ist es n schon n Argument, dass das auch naturalisierend klingt und wir Naturalisierung hinterfragen können.
Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, setze ich das in diesem Text jetzt so. Der Gegenbegriff zu neurodivers ist übrigens neurotypisch.

Dass ich mich hier nur auf Neurodiversität beschränke, bedeutet nicht, dass ich die anderen Bereiche unwichtig finde – da sollen aber besser die drüber reden und schreiben, die damit mehr Erfahrung haben, weil es halt um ihr Leben geht.

Nun zu mir und meinem Fokus in diesem Text.

Natürlich finde ich Diskriminierung wegen psychiatrischer Diagnosen, neurologischer Abweichung usw. schlecht. Es geht mir richtig doll auf den Nerv, wenn Leute erklären, dass sie mit “Borderlinern”, “Depressiven”, “Narzissten” oder “Autisten” nix zu tun haben wollen (und hier sind wir nur auf der individuellen Ebene und nicht auf der Strukturellen, weil es da noch viel mehr zu meckern gibt). So pauschale Aussagen sind kacke und werden zu recht kritisiert. Und jetzt kommt das große ABER:

Aber Diskriminierung wegen psychischer Behinderung oder Devianz, bzw. Neurodiversität kacke zu finden, heißt nicht, dass du nicht auf deine eigenen Grenzen achten darfst. Du darfst Verhalten, dass (eventuell) mit Neurodiversität zusammenhängt, anstrengend, schwierig und schlicht nicht tragbar finden. Es kann schwer sein, und deine Gefühle sind valide und du darfst es schwer finden. Und du darfst erwarten, dass deine Grenzen geachtet werden. Du musst nicht alles akzeptieren oder ertragen, dass eine Person (vielleicht) aufgrund ihrer Neurodiversität tut. Und es ist okay, wenn du dich aus einer Beziehung zurückziehst, weil es zu schwer für dich wird. Auch wenn der andere Mensch nichts dafür kann – du kannst auch nichts dafür und musst nicht leiden, dich nicht aufopfern, dich nicht selbst zerstören, um für eine andere Person da zu sein.

Das hier ist jetzt kein Appell, bei der kleinsten Schwierigkeit Leute im Stich zu lassen oder abzuhauen, wenn n:e Freund:in gerade ne Krise hat und sich ausheulen will. Das hier ist ein Appell zur Selbstfürsorge. Und wir fangen an dem Punkt an, an dem wir beide nichts dafür können, dass ein* so ist, wie xier ist. Wir tragen aber Verantwortung dafür, wie wir damit umgehen – und damit jede Person auch für sich selbst. Ich war einmal an dem Punkt, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Ich bin aus einem Gespräch herausgegangen (was in einer Einraumwohnung schwer ist) – und hab mich in mein Bett unter die Decke gelegt und gesagt, dass ich einfach nicht mehr hier bin. Ich lag mit meinem Laptop unter meiner Bettdecke, während ein:e Freund:in anderthalb Meter von mir entfernt auf der Couch saß und keinen Plan hatte, was xier jetzt machen soll. Es ging nicht mehr – und in einem langen Chat konnte mich eine Freundin doch dazu bringen, irgendwann wieder unter der Decke hervorzukommen und darüber zu sprechen, was laufen muss, damit diese Beziehung mich nicht zerstört. [Lied.] Dieser Mensch hat mir nie etwas schlimmes getan – xier war nie böse zu mir, nie gewalttätig, hat nichts getan, um mir aktiv zu schaden. Aber xiese Neurodiversität hat mich an meine Grenzen gebracht, ging über die Grenzen meiner Belastbarkeit. Und so sagte ich, was mit mir gerade los ist: “Ich will für dich da sein, aber ich muss auch für mich da sein. So, wie es jetzt läuft, geht es über meine Kraft. Ich würde sehr sehr ungern den Kontakt zu dir abbrechen – aber weitergehen kann es so auch nicht.” (und ich merke beim Schreiben gerade, dass mir das mega nah geht und ich bei der Erinnerung fast weine.) Ich will hier keine große Spannung aufbauen: Wir haben es geschafft. Und sind jetzt, Jahre später, immer noch Freund:innen.
Es hat geklappt, weil ich Hilfen vermittelt hab und wir gemeinsam geguckt haben, was xier braucht und wo es diese Unterstützung gibt, statt alles selbst zu machen. Das war das, was ich an dem Punkt leisten konnte. Und da ist die Verantwortung der anderen Person: Xier muss sich darum kümmern, nicht alles auf mich zu legen, an dem eigenen Wohlergehen arbeiten und sich woanders Hilfe suchen. Und das lief. Es ist nicht okay, an so einer Stelle anderen mehr zuzumuten, als sie ertragen können, und zu sagen: “Ich bin halt so, ich kann nix dafür, und du bist ableistisch, wenn du das nicht einfach so hinnimmst!” Das funktioniert nicht. Und ganz ehrlich, es sollte eigentlich auch nicht zu dem Punkt kommen, an dem sich ein* unter ne Bettdecke verkriecht und sagt: “Ich bin nicht mehr hier. Ich bin einfach nicht mehr da!”, weil einfach nix mehr geht. Und an den Punkt will ich nie mehr kommen, das fühlt sich nämlich echt scheiße an.

Soa. Das war der Teil, wo Menschen nix Böses tun und trotzdem anderen schaden. Das ist für mich auch mega schwierig – meine Gefühle der Überforderung okay zu finden und mir zu sagen, dass ich nicht über meine Belastbarkeit gehen muss und mich auch von Menschen distanzieren darf, wenn sie nie direkt böse zu mir waren, mir nie direkt schadeten und mich trotzdem fertig machen.

Das Zweite ist etwas, wo ich mich leichter distanzieren kann – denn das ist Arschlochverhalten, das Menschen mit Neurodiversität legitimieren wollen:

Ein Mann kontaktierte mich über eine Dating-Plattform und wies mich darauf hin, dass der Typ, mit dem ich bis vor kurzem was hatte, Scheiße über mich labert. Das fand ich echt freundlich, weil ich besagten Langeweiler so damit konfrontieren konnte, wie scheiße es denn bitte ist, dass er sich nun das Maul darüber zerreißt, was ich für n komischer Hippie bin – wo ich doch n paar Monate lang wohl gut genug war, um Sexkram miteinander zu machen.
Aber zurück zum Schreiber, dessen weiteres Verhalten ich schlicht misogyn fand und ihm das dann auch sagte. Er teilte mir mit, dass ich ja viel zu nett sei und so ein kleines Dummerchen und dass er mich ja niemals so behandeln würde und dass ich besser mit ihm zusammen sein solle, weil er meine Naivität niemals ausnutzen würde, weil er ja auch viel netter sei als der Ex-Lover, immerhin sei er Vegetarier. (Unnütze Details lassen ne Geschichte wahr wirken, oder? Bitteschön, unnützes Detail. Er ist Vegetarier, der Langeweiler [tolles Pseudonym XD ] nicht.) Da Mann mich einfach nicht so zu behandeln hat und mir nicht zu sagen hat, dass ich ein absoluter Vollpfosten bin und n netten Mann brauche, der mich ans Händchen nimmt und mir die Welt erklärt und mich vor den bösen Männern schützt, indem er mich wie ein Kind behandelt, habe ich ihm geantwortet, dass er seinen frauenfeindlichen Scheiß mal lassen soll und dass ich kein Interesse an Typen haben, die mich so behandeln, als sei ich ihnen unterlegen. (Daten als Emanze – eine Last! Zum Glück bin ich bi!) Darauf antwortete er, dass er kein Sexist sei, dass er Frauen sehr möge und dass er Autist sei und ich deshalb seinen Scheiß ertragen müsse. Ich antwortete nicht mehr. Lange Zeit später, ein Jahr oder so, schrieb er mir wieder, im Plauderton, als sei nie etwas gewesen. Ich antwortete, dass ich sein Verhalten von damals immer noch schlimm finde und keinen Kontakt wolle – und nutzte, so dachte ich, die Funktion, dass er mir nicht mehr schreiben könne. Leider habe ich wohl den Knopf erwischt, der eine:n Nutzer:in der Plattform nur für eine bestimmte Zeit blockiert (warum gibt es sowas überhaupt?). Nach Ablauf dieser Zeit und noch einigen Monaten kam eine lange Nachricht, in der mir sagte, was für ein schlimmer Mensch ich sei, dass ich so einen netten Mann wie ihn nicht verdient habe und dass er mit seiner Zeit besseres zu tun habe, als sich mit fiesen ableistischen Menschen wie mir abzugeben (weshalb er mich wieder anschrieb, nachdem ich zweimal den Kontakt abbrach – naheliegend).

Und diesem Move finde ich richtig mies und es macht mich richtig sauer, dass ein Mann eine (vermeinliche – immerhin ist er ne Hete und hatte wohl genug Bereitschaft, mich miszugendern) Frau frauenfeindlich (Frauen wie Kinder zu behandeln ist definitiv misogyn) anzugehen und ihr dann zu sagen, dass sie diskriminierend sei, wenn sie sich nicht so behandeln lässt, weil er ja nix dafür kann, weil er ein Autist ist.

Dude (ich kann dir ja nicht mehr antworten, weil du mich nach deiner letzten Nachricht blockiert hast, weil du das letzte Wort haben musst, ist ja klar, weil du gewalttätig sein darfst und andere das ertragen müssen), ich lehne dich nicht ab, weil du Autist bist. Ich lehne dich ab, weil du frauenfeindlich bist und keine Bereitschaft zeigst, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich hege auch echt starke Zweifel, dass das mit deinem Autismus zusammen hängt. Und selbst wenn es so wäre: Ich spiele das Spiel, welche Diskriminierung die schlimmste ist, nicht mit, und deshalb passe ich auf mich auf und lasse mich bestimmt nicht dazu bringen, n Mann zu daten, der mich misgendert und abwertet, weil das ja Teil seiner Neurodiversität ist. Und wenn dich deine Neurodiversität so schädlich für andere macht, dass sie dich meiden müssen, um von dir nicht fertig gemacht zu werden, dann solltest du n Weg suchen, anders damit so umzugehen. Hab ich nämlich auch geschafft.