“Krank” ist nicht das gleiche wie “scheiße”

Ableismus

 

Wir sollten aufhören, Dinge “krank” zu nennen, wenn wir ausdrücken wollen, dass wir sie nicht gut finden.

Die Gleichsetzung von “krank” mit “böse” schadet Leuten auf so vielen Ebenen. Wegen dem Stigma, das auf psychischen Erkrankungen oder Abweichungen liegt, suchen sich Leute oft erst sehr spät oder gar nicht die Unterstützung, die ihnen gut tun würde. Dieses Stigma ist auch strukturell verfestigt. Z.B. wird es mit einer psychiatrischen Diagnose schwierig_er, bestimmte Versicherungen abzuschließen. Sogar die Ausübung mancher Berufe kann schwer werden =o Ich will euch hier keine Angst vor Psychotherapie machen. Ich will nur erwähnen, dass sich nicht alle Probleme magisch in Luft auflösen, wenn wir aufhören, “krank” zu sagen, wenn wir “mies” meinen. Dennoch kann es helfen, in Zukunft auf den Drecksack statt auf den kranken Typen zu schimpfen und es ist auch einfacher, als mal eben das ganze ableistische System zu kippen. Also, kleine Schritte.

Psychische Abweichung und Erkrankung hat keinen guten Ruf. Während manche vielleicht noch romantisiert werden können, sodass der Melancholiker (der Depressive?) in seinem Weltschmerz sympathisch wirkt, gibt es viele, über die uns zumindest unterschwellig vermittelt wird, dass die Menschen gefährlich sind und wir so schnell wie möglich wegrennen sollen. Personen mit dissoziativer Identitätsstruktur kommen uns, abgesehen von der Serie Taras Welten (United States of Tara, USA, 2009-11), immer nur als gefährliche Mörder unter. Menschen mit Borderline-Diagnose gelten schon lange als zerstörerisch und beziehungsunfähig und in letzter Zeit begegnet mir narzisstisch oft als Synonym für gewälttätig oder misshandelnd. Noch viel gemeiner wird diese Gleichsetzung, wenn wir bedenken, dass bei allen eben genannten vermutlich eine nicht so gute Kindheit, Trauma, Vernachlässigung o.ä. vorangegangen ist. Leute, die üblen Scheiß durchmachen mussten, werden nun noch dafür bestraft, indem sie als gefährlich, gewalttätig, misshandelnd, böse, manipulativ, … charakterisiert werden. Haben wir eigentlich so viel Angst vor unseren Taten[1], dass wir die Menschen, die dadurch entstehen, derart verurteilen und abwerten müssen?

Neben der gerade beschriebenen (massen-)medialen Repräsentation ist es vermutlich nicht unerheblich, wie wir über psychische Abweichung und Erkrankung reden, und natürlich beeinflusst das eine das andere. Es ist klar (und niemand weiß, woher eigentlich), dass der Präsident der USA ein Narzisst ist, dass ein Mörder ein Psychopath ist, dass deine fiese Ex Borderline hat und dass dein fieser Ex narzisstisch ist. Und obwohl ich nicht abstreiten will, dass es korrelieren kann, nervt mich die scheinbar zwingende Kausalität. Also, es nervt mich, dass du annimmst, deine Ex sei wegen ihrer Borderline-Diagnose fies und es nicht für möglich hältst, dass sie fies ist und eine Borderline-Diagnose hat. Oder einfach nur fies ist, weil du dir das mit der Diagnose ausgedacht hast, weil’s cool klingt. In deiner Vorstellung führt der Narzissmus deines fiesen Ex zwingend dazu, dass er alle Leute beleidigt, und es kann nicht sein, dass er Narzisst und Arschgeige oder einfach nur Arschgeige ist.

Einerseits liegt dieser Annahme vermutlich ein sehr positives Menschenbild zugrunde: Es kann nicht sein, dass wer, einfach so, Böses tut oder böse ist, wenn er die Folgen seiner Handlungen absehen kann. Wenn sich wer böse verhält, kann es nur daher kommen, dass er (psychisch) krank ist.

Und auch wenn ich dieses positive Menschenbild sehr zu schätzen weiß (auch wenn ich es nicht teilen kann), richtet es sehr viel Schaden an. Auf der einen Seite können wir nicht glauben, dass dieser nette Mensch so etwas gemeines tut / tun kann und tragen damit zur r*pe culture bei. Wenn wir Verbrechen immer nur Monstern und Verrückten zuschreiben, glauben wir denen, die diese üb_erleben, nicht. Auf der anderen Seite sorgt das ständige gemeinsame Aufrufen von “böse” und “krank” sein dafür, dass wir das verknüpfen, zusammen denken und psychisch kranke_abweichende Personen (vor-)verurteilen.[2] Mit den Folgen, die ich eingangs erwähnte: Wer psychische Probleme hat, traut sich oft nicht oder erst, wenn es unaushaltbar wird, darüber zu reden, sich Unterstützung zu suchen, Probleme aufzuarbeiten.

Außerdem tut es weh. Mich nervt es richtig doll, wenn mal wieder irgendeine psychische Krankheit als Ursache für Arschlochtum genannt wird. Ernsthaft. Ich kenne einige Leute, die es trotz Diagnosen, psychischer Krankheit, Devianz oder Neurodiversität ganz gut hinkriegen, nicht scheiße zu sein. Also hört auf, uns ständig mit Arschgeigen gleichzusetzen. Wir haben besseres verdient, weil wir nämlich echt super sind :3

Also, denkt doch darüber nach, was ihr wirklich sagen wollt, bevor ihr etwas “verrückt” oder “krank” nennt. Vorschläge, je nach Bedeutungsfeld:

  1. ungewöhnlich, schrill, außergewöhnlich, merkwürdig, befremdlich, komisch, eigenartig, skurril …
  2. unberechenbar, schwer nachvollziehbar, bizarr, …
  3. unbedacht, unvorsichtig, leichtsinnig, …
  4. böse, fies, gemein, arschig, mies, rücksichtslos, unsozial, schädlich für andere, …
  5. und statt “Du machst mich verrückt!” lieber so etwas wie: “Du machst mich nervös!” oder “Du nervst mich!”, wenn es das ist, was du meinst.

[1] oder unserem Nichtstun, wobei ich Nichtstun auch als Handlung sehen würde… Also z.B. ignorieren, dass ein Kind in unserem Umfeld so wirkt, als bräuchte xier Hilfe.
[2] Damit will ich übrigens nicht sagen, dass Zusammenleben, Zusammenarbeiten und/oder Freund*innenschaften mit oder Liebe zu psychisch kranken_abweichenden Personen immer nur Pommes und Disco ist. Es kann richtig schwer sein und du darfst dich überfordert fühlen. Aber dazu kommt bald ein extra Text =)